Blubbernd und strampelnd sitzt der kleine
Chinmaya auf dem Schoß seiner Mama. Die drei schwarzen Punkte auf seiner Stirn
und beiden Wangen sollen alles böse von ihm wenden. So wird es von Frauen des
Stammes der Bhil in der Region Jhabua im Bundesstaat Madhya Pradesch schon seit
Jahrhunderten gemacht. Gemalt hat sie Jodie, eine zierliche Person, die uns
lächelnd gegenübersitzt. Mit leiser Stimme und ihrem roten Tuch weit ins
Gesicht gezogen, erzählt sie uns von ihrem Tagesablauf
Nachdem sie Wasser für den Haushalt
geholt hat, bereitet sie einen Teig vor, aus dem das Frühstück gemacht wird.
Chapatis sind dünne Teigfladen aus Mehl, Öl und Wasser, die über einer
offenen Feuerstelle gebacken werden. Ihr Ehemann Nanadara, dessen Mutter und
Vater sowie Jodie mit ihrem Sohn Chinmaya gehören zum Haushalt. Wenn alle gegessen
haben und Jodie aufgeräumt hat, verlässt sie gegen neun Uhr das Haus und geht ins
Feld arbeiten. Ehe sie zurückkehrt hat sie auf dem Feld fünf Stunden
gearbeitet. Auf ihren zehn Monate alten Sohn passt daheim die Großmutter auf.
Chinmaya ist mit 6095 Gramm für sein Alter 3000 Gramm leichter, als er
eigentlich sein sollte. Obwohl seine Mutter die zehnte Klasse abgeschlossen hat,
weiß sie wenig über Hygiene und Ernährung von Kleinkindern. So kam es, dass sie
ihrem Sohn nur drei Mal am Tag die Brust gab und der Kleine somit nicht die nötigen
Proteine, Mineralien und Vitamine aufnehmen konnte, die er für eine gesunde
Entwicklung bräuchte.
Nach einer Studie der World Bank litten
im Jahr 2012 in Indien zweimal mehr Kinder an Unterernährung als in Afrika und
fünfmal mehr als in China. Jedes zweite Kind unter fünf Jahren wächst in Folge
dessen nicht richtig und muss an Krankheiten leiden, die es mit einem gesunden
Wachstum nie bekommen hätte. Eine ausgewogene Ernährung aus Früchten, Gemüse,
Brot, Reis, Milch, Fleisch und Fisch ist oft nicht möglich. Ein Grund dafür ist
das fehlende Wissen der Familien über die Hygiene und Fütterung von Säuglingen
in ihren ersten Wochen. Die Abhängigkeit vom Faktor Geld und Arbeit zwingt die
Menschen zur Vernachlässigung des Nachwuchses. Wenn die Familie abhängig von
Gemüse ist, dass sie auf dem Markt kaufen muss, muss dieses Geld verdient
werden. Das heißt für beide Elternteile, dass sie tagsüber zum arbeiten ihr
Kind verlassen und erst abends wiederkehren. Teilweise gehen Elternteile auch
mehrere Tage in andere Landesteile, um Arbeit zu bekommen. In der Zeit sorgen
in unregelmäßigen Abständen Verwandte und Bekannte für das Kind. Die Armut und
die Fälle von Unterernährung sind bei der ländlichen Bevölkerung Indiens weiter
verbreitet als in den boomenden Großstädten. Hier merkt man nichts von
blinkender Bollywoodindustrie und großen Einkaufszentren. Die Menschen leben
ein einfaches Leben abseits der Gesellschaft und geraten gerade dadurch in
Vergessenheit. Nicht allein durch Wirtschaftswachstum kann ein Land seine
Menschen aus der Armut befreien, die Schere zwischen Arm und Reich wächst
zunehmend.
Jodie ist eine Frau aus der unteren
Mittelschicht der Bhil, ihr 28-jähriger Mann geht als Gaslieferant arbeiten und
sie bewirtschaftet das Land, das den Eltern ihres Mannes gehört. Sie sind zwar
nicht reich, aber das nötigste können sie sich leisten. Trotzdem ist ihr Sohn
unterernährt und Mutter und Sohn sind seit zehn Tagen in einem Hospital in
Meghnager im Bundesstaat Madhya Pradesch untergebracht. Hier bekommen die
Kinder achtmal am Tag einen speziellen Brei aus Milch, Zucker, Oel und Wasser,
der sie wieder zu Kräften bringt. Zweimal am Tag werden die Mädchen und
Jungs von einem Arzt untersucht, gewogen und gemessen. So kann sichergestellt
werden, dass sie Tag für Tag zunehmen und gesund werden. Die Mütter lernen zusammen mit ihrem Kind von der täglichen Hygiene
beim Stillen und über die Wichtigkeit ihre Kinder regelmäßig und ausgewogen zu
ernähren. Sie haben Zeit sich mit den Bedürfnissen ihrer Kleinen
auseinanderzusetzen. Außerdem bekommen sie Tipps, wie sie, neben ihrer
täglichen Arbeit, eine gesunde Ernährung für ihr Kind garantieren können. Wenn
die 24-jährige mit ihrem Chinmaya nach Hause geht, hat sie Samen von
einheimischen Pflanzen und das Wissen wie man sie groß zieht, im Gepäck. Das
Einrichten eines „Küchengartens“ direkt vor ihrem Haus, von dem sie für die
ganze Familie kochen kann, ist wichtig für Jodie. So spart sie Zeit und Geld,
dass sie in die Schulbildung ihres Kindes stecken kann. Die Ausbildung von
Chinmaya liegt ihr besonders am Herzen.
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